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Aus der Ferne

MEIN WOHNRAUM IST EINE KONFLIKTLINIE

In diesem Beitrag möchte ich Beispiele aufzeigen, um zu belegen, dass die spaltende Wirkung des Platzes an unserem Wohnraum keinen Unterschied zwischen Politischem und Privatem kennt. Sie wirkt sich auf alles und jeden aus. Ferner werde ich mir eine kurze Schlussfolgerung erlauben, auf die gerne eingegangen werden kann.

Dies ist nur eine Auswahl der Ereignisse und sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Am 16.02.1919 kommt es zum sogenannten Generalstreik, Freikorps bekämpfen revolutionierende Menschenmassen. Einer der am meisten umkämpften Schlachtplätze ist unser Wohnraum. Am 09.03.1919 tötet dabei eine rätselhafte Fliegerbombe vier Passanten vor der Volksbühne. Niemand wird herausfinden, wer sie abgeworfen hat. Jeder weiß, dass es die Monarchisten waren. In der Nacht zum 05.06.1923 nimmt ein Pogrom in der Grenadierstraße den Hass auf Juden vorweg, der im deutschen Reich erst 15 Jahre später so vorstellbar ist. Als die Polizei endlich einschreitet, werden nicht Täter sondern Opfer verhört und verhaftet. Es bleibt bei Weitem nicht das letzte Progrom in der Straße. Am 08.08.1931 wird der 19 jährige Fritz Auge durch einen Rückenschuss von Polizisten niedergestreckt. Der angebliche Warnschuss hat eine Kettenreaktion zur Folge: Am kommenden Tag werden zwei Schutzpolizisten vom RFB erschossen. Bei einer anschließenden Panik erschießen die Schupos zwei Zivilisten und verletzten 35, darunter den Junge Richard (11 Jahre) und das Mädchen Rieger (12 Jahre alt). Kleines Detail am Rande: Einer der flüchtigen Täter ist Erich Mielke, auch bekannt als künftiger Minister für Staatssicherheit in der DDR. Im Januar 1933 marschieren die Nazis aus reiner Freude an der Provokation über den Platz und das Haus der KPD. Im kommenden Monat wird das Haus beschlagnahmt. Am 24.04.1945 befreit die Rote Armee das Karl-Liebknecht-Haus doch werden 25 Soldaten von versteckter Ladung, die die Nazis im Haus deponiert haben, völlig sinnlos getötet. Dann ist es zwar erstmal für einige Jahre ruhig aber nur, weil man ignorierte, was ordentlich am brodeln war. 1954 wird meine Mutter geboren, 1974 meine Schwester und 1984 schließlich ich. Wir wohnen in der Kleinen Alexanderstraße in dem Häuserblock, in dem sich auch das Babylon befindet. Dharma und ich sind aber auch viel bei Ommi Hertha in der Linienstraße, ganz in der Nähe. 1989 droht es noch vor dem Mauerfall ordentlich zu knallen, weil man Sprengstoff in einem Wohnhaus ganz in der Nähe verlegt hat aber wie durch ein Wunder wird das Unheil noch ganz knapp vor der Explosion abgewendet. Dann geht die DDR in die Brüche und kaum wird die Mauer eingerissen, geht es auch schon wieder los mit den Konflikten, die ich bis dahin selbst nur von zu Hause kannte. Am 04.06.1990 bläst durch eine defekte Heizungsanlage Kohlenmonoxid in den Zuschauersaal des Babylons. Im März 1993 gibt es einen Buttersäureanschlag im Zuschauerraum, gefolgt von einem Brandanschlag auf das Büro des Kinos bis dann im September 1993 ein defekter Stützbalken des Daches droht in den Zuschauerraum des großen Saales zu stürzen. Der Grund sind angebliche Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg. Im Januar 1999 stellt die PDS ein Rosa-Luxemburg-Denkmal auf, das eine lange Diskussion mit sich zieht und der natürlich jeder etwas dazu zu sagen hat. Diese Diskussion geht so lange, dass man gar nicht merkt, dass das Denkmal genauso schnell verschwindet, wie es aufgetaucht ist. Im Sommer 2010 sorgt eine „Kauf-nicht-beim-Juden!“-Protestaktion im Babylon abermals für Aufsehen. Ab dem Tag seiner Ernennung im Jahr 2016 kann sich der designierte Volksbühnen-Intendant Chris Dercon täglich über einen Scheißhaufen vor seinem Büro freuen. Sein Arbeitsantritt wird ihm im September 2017 durch die Besetzung der Volksbühne noch ein bisschen mehr versüßt, bevor er nur wenige Zeit später die Segel streicht. Im April 2020 wollen einige viel belesene und nicht minder kritische Bürger:innen Klopapier kaufen und da sie dies gerne öffentlich tun, scharen sie noch mehr verwirrte um sich herum, rufen sie zu sogenannten „Hygiene-Demos“ auf, die in den kommenden Wochen einige Medien in Atem halten und für einige Rippenbrüche bei Journalisten sorgen werden.

Was kann man dem noch hinzufügen? Wer es glauben möchte, denkt es geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Ich vermute: Vielleicht wurden ja Synergien gestört, die man nicht so recht bedacht hatte, als man dieses Dreieck schuf? Jedenfalls ist ersichtlich, dass dieses Dreieck die Menschen dazu bewegt, merkwürdige Dinge zu tun und wenn sie dafür nicht selbst verantwortlich sind, geschehen noch merkwürdigere Dinge mit dem Menschen, die sich hier befinden. Meines Erachtens liegt der Ursprungskonflikt in seiner Konzeption: Durch seine drei Achsen reden wir bei dem Platz nicht mehr von einem Gegenüber sondern von drei Seiten, die Gegeneinander gehen, bei der jede die andere in Frage stellt und anfeindet. Jede von ihnen will in eine andere Richtung, ohne dass es auch nur den Hauch einer Annäherung gibt, denn sie alle ziehen eigentlich in dieselbe Richtung, nur sehr versetzt, was sie nicht merken und übrig bleibt die Schlange, die sich selbst frisst. In der Mitte und an den Rändern dann jene feindselige Kultur, die sich einen Jux daraus macht, alles was negativ ist ins positive zu setzen und sich nur dann unterhalten fühlt, wenn auch Blut zu sehen ist. Aber natürlich nur das der anderen, im Leben der anderen. Dieses Leben der anderen spielt man dann selbst nach und merkt nicht mehr, dass man den anderen zu erklären versucht, dass man deren Leben spielt und das besser könne als sie selbst.


Wer ist da nicht verwirrt und fragt sich, wie konnte das alles kommen? Und wir müssen feststellen: Weil jemand auf die Idee kam, dieses verfluchte Dreieck aufzustellen. Was kann man mit so einem Platz schon anderes machen, als ihm den Erdboden gleich zu machen und als Mahnmal zu erhalten? Vielleicht gibt es dann ja noch die leise Hoffnung, dass wir unser restlichen Leben in Einklang mit der Biosphäre verbringen können?

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