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  • Aus der Ferne

DER LANGE WEG ZUM SPÄTEN RUHM I

Teil 1: 1890 bis 1990


Die Kaiser-Wilhelm-Straße ist in der Gründerzeit eine der Prachtachsen Berlins. Logisch erscheint da nur, sie für den wachsenden Verkehr mit der Schönhauser Allee und der Prenzlauer Allee im Norden bzw. Nordosten zu verbinden. Und dazu noch erscheint es praktisch, dass man dafür das ungeliebte Scheunenviertel dem Erdboden gleich machen muss. Denn gerade am ehemaligen Scheunenfeld macht eine Gabelung am meisten Sinn, um die drei Hauptachsen miteinander zu vereinen. Doch zieht sich dieses Unterfangen über biblische 40 Jahre hin. Selbst für atheistische Berliner Verhältnisse ist das etwas lang. Um die Jahrhundertwende reicht es dann der Stadtverwaltung und man versucht Tatsachen zu schaffen. Die Besitzer sämtlicher Wohnparzellen werden enteignet, das Areal gehört nun der Stadt. Niedergang und Geburt zugleich erlebt das Scheunenviertel dann ab 1906 als man die ersten todgeweihten Häuser abreißt, die unmittelbar auf der geplanten Gabelung stehen. Bis 1908 sind dann die Abbrüche vollzogen und ein großes Dreieck ragt jetzt dort heraus, wo einst das Scheunenviertel war. Nur weiß man nicht so recht, wohin mit all dem Unrat, der sich dort einst befand und so bleibt der neue Platz für die kommenden Jahre ein Brachland. Aus der Verlängerung der Kaiser-Wilhelm-Straße ist auch nichts geworden, denn die macht nun, als würde sie etwas ahnend, südöstlich eine Biege an dem Schandfleck vorbei. Nachdem noch einmal fünf Jahre vergangen sind, übergibt die Stadt Berlin das Areal schließlich an eine Privatgesellschaft, die vielversprechend ihre Pläne zum Ausdruck bringt. Und tatsächlich wird noch vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, den Theaterneubau der Volksbühne dort in Rekordzeit hochzuziehen. An den spitzen Winkeln des Platzes stehen nun auch zwei weitere Gebäude ebenso verwaist empor: Das Adlerhaus im Osten und ein Teil der Zwillingsbauten im Westen. Wenig überraschend herrscht dann bau-technisch für einige Jahre wieder Stillstand. Dafür wütet ein Krieg und auch wenn Berlin zu dieser Zeit noch verschont bleibt, hinzugesellen wird sich zu den drei einsamen Waisen in diesem Jahrzehnt nichts mehr. Die Volksbühne bleibt einer Trutzburg gleich einzig von Bretterbuden umsäumt auf lange Zeit das einzige Gebäude auf der dreieckigen Fläche, die man mit Gummistiefel betreten sollte, möchte man nicht steckenbleiben im Moloch. Daran hat sich auch bis weit in die 1920er nicht viel geändert. Das mag daran liegen, dass die Gegend nach wie vor eben eher Moloch ist und man mit dem Areal kein Geld durch Bauen verdienen kann, obwohl man das ja schließlich wollte. So heißt es in der Stadtverodnetenversammlung vom 09.02.1928:


„Wie weit die Profitgier geht, das sieht man wieder daran, daß man jetzt den Platz mit einem 7 h hohen Bretterzaun umgeben hat, um aus der Reklame Profite herauszuholen. Aber wir sehen, daß auch das fehlgeht und daß den Bülowplatz jetzt ein 7 m hoher ungestrichener Bretterzaun ziert; auch wieder ein Schandfleck. Die Bevölkerung, die in diesem Viertel wohnt, muß sich das täglich ansehen.“

Zu allem übelst zieht auch noch die KPD in das Haus am östlichen Ende des Platzes und stellt damit sicher, dass all der Unrat, dem sich die Stadt schließlich entledigen wollte, fürs Erste nicht abhanden kommt. Es scheint nicht totzukriegen, dieses Scheunenviertel. Auch nach Abdankung des Kaisers verkünden die Arbeiter hier ihre Parolen und das noch lauter denn je zuvor. Natürlich bietet sich da an, ein eigenes Haus zu haben, in das man sich schnell vor der herbei stürmenden Polizei flüchten kann. Das ist nun so ganz gar nicht, was man sich von dem Platz erhofft hat: Ein Platz für Arbeiter mit eigenem Parteihaus und eigenem Theater - was für eine Bühne, die man dem Proletariat da gegeben hat! Wie war es nochmal mit Aufwertung des Wohnraums?


Hilfe kommt von dem Architekten Hans Poelzig, der mit seinen Bauten der Neuen Sachlichkeit dem Platz endlich einen modernen Anstrich verleiht. In den Bauten, von denen einer ab 1928 auch das Kino Babylon beherbergt, werden große Wohnungen in gehobenerer Preislage vermietet. Doch ändert sich noch nicht viel an der Gegend, die jetzt vor allem von den andauernden Konflikten zwischen Kommunisten und Nazis beherrscht wird.

Das Berliner Tageblatt schreibt am 11.03.1931:


„Der Platz ist ein trauriges Exempel dafür, daß sich eine Gegend nicht verändert, auch wenn man sie völlig umgebaut und ihr ein ganz neues Kolo­rit gibt. Es bleibt etwas von dem zurück, was früher war, selbst wenn äußerlich nichts an dieses Früher erinnert. Auf dem heißen Pflaster des Platzes haben neue Steine keine Abkühlung gebracht.“

Es wird sich munter versammelt, kontrolliert, geflüchtet und gemordet auf der dreieckigen Fläche. Es scheint, als ob ein jeder, der sie betritt, von einer undefinierten Zerstörungslust heimgesucht wird. Das sorgt natürlich für einiges an Krawall. Erst die Nazis in der Regierung sorgen dann dafür, dass Ruhe ist. Sie lassen den letzten Rest des übrig gebliebenen eigentlichen Scheunenviertels (denn der Begriff wird inzwischen inflationär genutzt und schließt ein viel größeres Gebiet bis zum Hackeschen Markt mit ein) nördlich hinter der Volksbühne abreißen und errichten dort helle und luftdurchlässige Wohnhäuser für Arier. Der Platz ist nun erstmal gereinigt. Das wird jedem Bewusst, denn ab jetzt passiert hier für eine Weile erstmal nichts mehr. Aus offensichtlichen Gründen rumst es hier dann 1945 nochmal gewaltig, aber dann ist für eine ganze Weile erstmal wieder Schluß. Man baut auf, was aufzubauen ist und wo Lücken bleiben, schmiedet so manch ein Kulturmensch schon Pläne für die ferne Zukunft. In den 1970ern bespielt die Volksbühne den kompletten Platz und die Weltfestspiele der Jugend sorgen dafür, dass sogar einige Momente entstehen, in denen Menschenansammlungen nichts fordern oder gegen etwas sind. Selbstverständlich sind diese Momente nur von kurzer Dauer. An und für sich bleibt es grau in grau und um ein Haar entgeht das Areal einer weiteren Abrisswelle. In den 90ern ist die Gegend um den Platz wieder mal urbanes Brachland, wird aber genau dadurch zur Keimzelle eines Mitte-Mythos der endlich, endlich den Marktwert des Preises in den kommenden Jahren in die Höhe treiben wird. Unser Wohnraum sieht goldenen Zeiten entgegen...


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