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Aus der Ferne

BRANDHERDE

Seit seiner Entdeckung hat Feuer das Leben des Menschen geprägt. Was wären wir nicht ohne unseren zuvorgekommen Homo erectus, dem wir auf diesem Wege danken? Wir wären keine Jäger und Sammler, ja wir wären weit entfernt von dem Zustand der Zivilisation, den wir uns über die Jahrtausende angeeignet haben. Doch bleibt unser Umgang mit dem Feuer ein Spiel. Kaum ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir meinen, es zu beherrschen, ihm unachtsam den Rücken zukehren, schlägt es um sich und brennt alles nieder, was wir uns über die Jahrtausende angeeignet haben, wirft uns um Jahrzehnte, nein Jahrhunderte zurück und fordert uns dazu auf, wieder von neuem zu beginnen. Dazu eine Anekdote zu den Brandherden: Berlin ist ein kleines Dorf. Gebeutelt von einem 30jährigen Krieg zieht es eine Mauer hoch um zu genesen. Wir befinden uns im Jahre 1672. Es wird eine Feuerschutzverordnung erlassen. Sie verbietet Feuerstellen sowie Schornsteine aus Holz. Es wird alles getan, um sich abzusichern gegen Kräfte, deren Ausbruch man nicht hervorsehen geschweige denn kontrollieren kann. Man will den Unrat, das heißt, alles was einen „Brandherd“ verursachen könnte, so weit weg wie möglich vom eigenen Wohnumfeld entfernt aufbewahren. Aber das menschliche Dasein ist nunmal durch eine Kette von Kausalitäten geprägt und zu dieser Zeit kann der Mensch einfach nicht mehr ohne das Feuer überleben. So muss der Mensch essen. Viele Tiere muss er essen, jedoch nicht roh sondern ordentlich zubereitet. Diese werden auf dem Viehmarkt am Alexanderplatz gehalten und verkauft. Doch auch die Tiere brauchen Nahrung, Stroh und Heu. Und das ist brennbar. Was also tun? Man kommt nicht umher, es muss irgendwo gelagert werden. Hinter der neuen Stadtmauer baut man Scheunen und lagert dort alles, was man nicht bei sich haben will, aber was man dennoch in unmittelbarer Nähe benötigt von diesem Berliner Dorf, das sich inzwischen immerhin zur Hauptstadt des Königreich Preußens gemacht hat. Wir sind im 18. Jahrhundert angekommen und einige Meter nordöstlich Berlins führt ein von Äckern und Gärten gesäumter Weg, dieser erhält den Namen Linienstraße. Da auf jeden Einwohner etwa vier Nutztiere kommen, die Heu und Stroh benötigen, hat sich die Zahl der Scheunen in den letzten Jahren erheblich vervielfacht, sodass man bald von einem ganzen Viertel spricht. Doch bevor die Scheunen das Areal überwuchern werden, wird es von einem Barockgarten eines preußischen Generals verziert, der auf den schönen Namen Egidius Ehrenteich von Sydow hört. Idyllisch möchte man den Anblick nennen, der sich einem offenbart, wenn man das Arrangement der Holzhütten am Rande der Biquerie unweit Berlins zu jener Zeit betrachtet. Noch ist die Stadt mit sich im Einklang, noch vermag keiner abzusehen, welche langfristigen Folgen die kommende Entwicklung mit sich ziehen wird! Wie so häufig in seiner Geschichte, zieht Berlin eine Mauer hoch. Diese vergrößert das ursprüngliche Stadtgebiet um ein Vielfaches und schließt leicht- bzw. unbebaute Flächen am Stadtrand mit ein, zu denen auch die notwendigen aber ungeliebten Scheunen gehören. Wir erleben also nun den tragischen Moment, in denen sich ein potentieller Brandherd seinen Weg in das Herz einer Gemeinde erschleicht. Wir sind im Jahre 1737 angekommen und Berlin wird nun von einer Zollmauer umgeben. Im gleichen Jahr werden sämtliche Juden der Stadt, die kein eigenes Haus ihr eigen nennen dürfen, auf königliche Order gebeten, sich im Scheunenviertel niederzulassen. Wohlgemerkt hat man nach wie vor kein Allheilmittel gefunden, mit dem man das Feuer beherrschen kann. Aber man hat ein Stück Land mit einer Zollmauer umgeben und gesagt „Dies Land gehört mir und ich bin dafür zuständig, wer wo und wie zu wohnen hat.” und da es genug gibt, die das glauben, hat sich ein jeder danach zu richten, der in dieser Stadt wohnen will und so ziehen die Juden in das Areal, das nun bereits von allen Scheunenviertel genannt wird. Sie ziehen ihre eigenen Zäune um ihre Parzellen, denn schließlich will man ja Teil Berlins sein, da man diese Offenheit und Toleranz so schätzt, die es unweigerlich unterscheidet von anderen Provinz- oder Kurstädten, die zur selben Zeit in etwa dieselbe Größe haben. Das spricht sich herum in den Gegenden und es folgen immer mehr Ausgegrenzte und Verfolgte dem Ruf dieser Stadt, in der angeblich jeder nach seiner Fasson selig werden kann und wo brache Flächen dazu anregen, dass man sich dort sein eigenes Stück Land erwerben kann. Und so entsteht der Trugschluss, ja vielleicht sogar die eigentliche Faszination für dieses ehemalige Dörfchen, das nach Expansion strebte und sich entweder seiner Gefahrenquellen nicht bewusst gewesen ist oder sie aber in Kauf genommen hat, um so vielen Menschen wie möglich das Gefühl zu geben, ein Teil von ihm zu sein. Doch bestechen Brandherde dadurch, dass sie immer wieder auflodern und es sehr schwer ist, sie zu löschen. Das weiß der Mensch inzwischen, wurde er doch schon so häufig von Feuern überrascht und, wenn auch nicht um Jahrtausende aber doch Jahre zurückgeworfen in seinem Drang, vorwärts zu preschen. Deshalb versucht man sich der Brandherde so gut es geht zu entledigen, man baut die Scheunen ab und ersetzt sie durch steinerne Bauten, in denen kein Heu und Stroh mehr gelagert wird. Dafür gibt es nun andere Orte, die viel weiter weg von Berlin sind. Aber es ist zu spät: Denn als man die neuen Bauten errichtet, buddelt man so tief, dass man nicht merkt, wie Späne von Heu und Stroh aus den Scheunen noch übrig geblieben sind und nun unter der Erde vergraben liegen und das Fundament des ehemaligen Scheunenviertels liefern. Diese Späne gelten auch nach langer Zeit noch als brennbar und ähnlich eines anderen Elements, dass der Mensch bald entdeckt, tut man am besten, sie noch ein klein bißchen tiefer in der Erde zu verbuddeln. Doch sie sind nicht tief genug vergraben, denn eines Tages entfachen sich diese Späne wie von selbst und verursachen ein Feuer, das von weitem schwarz wirkt, bei näherer Betrachtung grau, in Wahrheit aber, und das bemerkt man erst, wenn man ihm direkt ausgesetzt ist, schneeweiß ist. Dieses schneeweiße Feuer brennt alles nieder, was Berlin in den letzten Jahrtausenden zu Berlin gemacht hat. Und das alles geschieht, weil der Mensch dachte, er könne das Feuer beherrschen und neben ihm sein Lager aufschlagen. Das war eine kleine Anekdote zu den Brandherden.


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